Monday, June 19, 2006

"Warner Brothers' fette Männer"

Oder auf englisch "Warner Brothers' Fat Men" ist der Titel eines Essays, in dem Dana Gioia sich Gedanken über die Zeit macht, in der übergewichtige Schauspieler mit ihren Pfunden auf eine Art wucherten, die einen glauben machte, daß Fettleibigkeit keine Schwäche sondern eine Leistung ist. Gioia beklagt im allgemeinen, daß - mit der Ausnahme von John Goodman - heutzutage die etwas solider gebauten Darsteller entweder so spielen, als fühlten sie sich in ihren Köpern nicht wohl oder aber als Clowns oder Comic Relief auftreten.

Gioia konzentriert sich im Essay dann exemplarisch auf zwei Schauspieler: Sydney Greenstreet und Eugene Pallette. Greenstreet ist heute bekannter, weil er in zwei der größten Warner-Hits mitspielte: Der Malteser Falke und Casablanca. Bei Eugene Pallette sagt man erstmal "Hä? Nie gehört!". Von wegen: Jeder hat den 1938er Robin Hood mit Errol Flynn gesehen. Und in diesem Film spielt Pallette Friar Tuck. "Ach der!" Genau. Eugene Pallette ist mir unvergeßlich, weil er in einer meiner absoluten Lieblingskomödien in einer seiner Parade-Rollen auftritt: In Mein Mann Godfrey spielt er Alexander Bullock, einen Selfmade-Millionär, der von einer vollkommen durchgeknallten Familie umgeben ist, die auch nicht für eine Sekunde dazu bereit ist, ihm zuzuhören, wenn es nicht um "Wer bringt das witzigste Ding von der Straße mit"-Parties, um Pferde in der Bibliothek oder um Martinis geht. Diesen Typen hat er dermaßen perfektioniert, daß er ihn in diversen Streifen immer wieder verkörperte.

Schwer zu glauben, daß Palette, der einzige schauspielende Globus in der Geschichte, mal als Jockey arbeitete, weil er so leicht war. Aber es stimmt. Er begann seine Leinwandkarriere auch zu Stummfilmzeiten als Leading Man, der eventuell auch am Ende mal die Braut abbekam. Dann kam der erste Weltkrieg (nach welchem Pallette relativ zügig zu Hollywoods Fesselballon numero uno mutierte) und - schlimmer noch: Der Tonfilm! Denn dieser enthüllte, daß Palette die Stimme eines ausgewachsenen Ochsenfrosches besaß. Ich selbst hörte ihn einmal im Original und es ist wahr: Selbst wenn sein erstaunlicher Leib mal im Gewühl verschwindet, ist er dennoch immer auszumachen, da er mindestens eine halbe Oktave tiefer spricht, als der Rest des Ensembles, wie auch Gioia in seinem Essay vermerkt. Das tolle an der Geschichte ist für mich, daß Pallette (und wie er viele andere Schauspieler in dieser Zeit), die Faktoren, die sein Leinwanddasein als junger Liebhaber ruinierten, packte und sie - häufig erst im zweiten oder dritten Anlauf - zu einer bemerkenswerten, wenn nicht unvergeßlichen Persönlichkeit formte. Und all die kugelrunden Millionäre, Mönche, Politiker, Schurken, Detektive, Handlanger usw. stellt Pallette mit solchem Selbstbewußtsein dar, daß man sich, wenn er als Friar Tuck munter bei jedem Gerangel mitmischt oder als Alexander Bullock gleich seinen ganzen Körper als Rumschubs-Waffe einsetzt, gar nicht darüber wundert, sondern es eher als Bestätigung empfindet. Ein ganzer Kerl, trotz Wampe. Wenn Brad Pitt morgen mit 150 Kilogramm Lebendgewicht aufwacht, wird er entweder Alkoholiker oder Selbstmörder (und ganz schnell auch Ex-Ehemann von Angelina Jolie). Dies groteskerweise in einer Zeit, in der der durchschnittliche Filmkonsument mehr wiegt, als je zuvor.

Deswegen schraddele ich auch all dies hier in meien Weblog. Ich möchte gemeinsam mit Gioia Protest einlegen gegen übertriebenen Schlankheitswahn, sowohl bei Männern, als auch bei den Frauen. Niemand soll sich zu Tode fressen, das ist klar. Aber bittebittebitte, liebe übergewichtige Damen und Herren, laßt Euch nicht einreden, Ihr wärt weniger Wert als die Spindeln, die beim Duschen hin und her hüpfen müssen, um naß zu werden. Euer Körper lechzt von Natur aus nach ein paar Extra-Pfunden? Hört auf ihn! Jedesmal, wenn Ihr Euch an den Strand legt, kommt die Flut? Und wenn schon! Überlegt mal, wer diesen übertriebenen Ideal-Körperkult wirklich nötig hat: Diejenigen, die sonst nichts vorzuweisen haben, oder diejenigen, die es ihrem Körper gestatten können, sich ihrer Persönlichkeit anzugleichen. Ein wenig größer als auf der Slimfast-Packung darf es grade in der heutigen, farblosen, alles gleich machenden Zeit gerne sein.

Ich könnte es auch mit Little John sagen: Als Robin Hood mit Friar Tuck bei seinen Leuten aufkreuzt, ist die Skepsis groß, da es ja immerhin ein Mönch ist, dem hier Zugeng zum Räuberlager gestattet wird. Robin Hood erklärt beruhigend: "Keine Angst! Das ist einer von uns!" Daraufhin Little John: "Sieht eher aus wie drei von uns!" Was ist angenehner: Ein Mensch, der einen Körper für zwei hat, oder ein Mensch, der in seinem Inneren zwei Personen mit sich herumschleppt: Eine dicke und eine dünne, die sich ständig in den Haaren liegen?

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