Monday, February 16, 2009

Pop-Art

Ich kam zum ersten Mal mit der britischen Band Japan in Berührung, als ich 14 war. Und damals war ich so gar nicht interessiert. Ich war einfach noch ein wenig zu unreif, alles mußte ultraelektronisches Synthiegezappel oder "Lerne drei Akkorde und gründe eine Punkband"-Trash sein. Die Herren um Mastermind, Songwriter, Sänger und Teil-Keyboarder David Sylvian traf ich dann mit 18 wieder und da lief mir der Sound schon besser rein. Man muß sich aber auch wirklich erst einmal daran gewöhnen.

Für die einen ist Sylvian's sanft-seelige Stimme, die gerne irgendwo zwischen nölig und kehlig hängt, eine Offenbarung, andere finden sie einfach nur furchtbar. Manche behaupten, Mick Karn habe mit seinen Fretless-Jaulern das Bass-Spielen praktisch neu erfunden, andere sagen, daß Bass-Spiel als solches auf Japan-Platten gar nicht stattfindet. Woher man auch kommt, was man auch über die Musik denkt, eines ist sicher: Japan sind eine besondere Band.

Beeinflußt von Bowie, Roxy Music, Eno und Satie waren Japan nie Teil der New Romantic-Bewegung, in deren Schublade man sie wegen der Frisuren, des Makeup und der Klamotten gerne steckt. Für diese Bande waren Japan einfach immer zu cool, erhaben und komplex. Sie waren es dann auch, die Andere beeinflußten. Nick Rhodes zum Beispiel ist ja optisch nichts weiter als ein Sylvian-Klon und entsprechend verheimlichen Duran Durans frühe Werke den Einfluß auch nicht. Schade, daß Japan die richtige Band zur falschen Zeit waren. Duran Duran haben den Sound glattgebügelt (bzw. ihren eigenen Sound "sylvianisiert") und abgesahnt.

Angefangen haben Japan als Glam-Rocker/Post-Punks und wer sich die Cover ihrer ersten beiden nicht ganz so tollen Alben Adolescent Sex und Obscure Alternatives anschaut, der weiß auch schon gleich Bescheid. Mit der Veröffentlichung von Quiet Life im Jahre 1980 gab es dann einen großen Schritt in Richtung innovativ-progressiven Kunst-Pop. Die beiden Folge-Albem Gentlemen take Polaroids (ebenfalls 1980) und Tin Drum (1981) machen die Japan-Trifecta voll. Ich picke mir die mittlere Scheibe heraus. Gentlemen take Polaroids ist, seit ich die Platte 1986 zum dritten Mal vorgespielt bekam (aber zum ersten Mal wirklich hörte), eines meiner unsterblichen Lieblingsalben und wird es immer bleiben.

Wie so oft, wenn ich Platten vorstelle, gilt auch hier: Schreibt das Ding nach dem ersten Hören nicht gleich ab! Ich habe mir Gentlemen take Polaroids mittlerweile ungefähr 58742 mal angehört und es gilt immer noch folgender Satz: Diese Songs werden bei jedem Hören besser!

Track Eins ist der Titel-Song Gentlemen take Polaroids. Perfekter Pop einmal ganz anders: Wegen Mick Karns Fretless-Bass und Steve Jansens leicht angemumpft produzierten Drums stürmt dieser Song nicht wild hinein, sondern spült sich mit geziemendem Anstand dennoch unwiederstehlich in die Gehörgänge. Man merkt gleich, daß Japan auf diesem Album erstens versuchen, ihren Sound zu perfektionieren und daß zweitens das Songwriting seit Quiet Life irgendwie straffer, kohärenter geworden ist, obwohl beide Alben im Abstand von nur einem Jahr aufgenommen wurden. Die Hookline am Anfang des Songs ist durchaus eingängig, aber sie dominiert nicht, weil im Hintergrund soviel passiert. Bass und Gitarre sind so gut abgemischt, daß sie zusammen mit der Keyboard-Melodie bestehen können, ohne diese abzuwürgen. Die 'Perfekter Sound'-These wird dann auf Swing, dem zweiten Stück, bestätigt. Bass und Schlagzeug kooperieren glanzvoll und treiben eine weitere großartige Pop-Komposition ihrem Refrain zu, in dem Saxophon-Schüsse über ätherische Keyboard-Klänge fegen, während Sylvian rät: "Relax and swing". Kein Problem, bei der Musik! Burning Bridges, Track Nummer Drei, beginnt mit anderthalb Minuten Synthie-Sphärik, gefolgt von drei Minuten Instrumental mit smoothem Saxophon, Keyboard-Akkorden, die mit leicht verzögertem Attack unter einer kleinen aber feinen Melodie herumhauchen. Erst in der letzten Minute kommt Sylvians Stimme in Spiel und fährt den melancholischen Tune würdig nach Hause. Japans ganz speziellen Sinn für Eleganz kann man dann auf dem vierten Stück My New Career genießen. Bass und Keyboard schieben sich im Intro und in der Strophe über schleppendem Rhythmus selbstlos die Song-Anteile zu, daß es eine Freude ist. Der Chorus wird untermalt von semi-schrägen Synthie-Klängen und danach kommt dann wieder ein ganz, ganz edles Saxophon dazu. So schön! Methods of Dance heißt das fünfte Stück. Nach einem die Spannung aufbauenden Intro mit Saxophon, Hi-Hat und Sequenzer, poltert der Song nicht würdelos davon, sondern gibt der Melodie freien Lauf; Jansen legt aber die Snare beim Mitzählen nicht auf die 2 und die 4, sondern auf die "Und"s davor und macht auch sonst mit Tom-Toms und Becken allen möglichen Krempel. Nach einer ruhigen Bridge mit Xylophon-Klängen kommt dann ein ganz großer Chorus mit einer orientalischen Frauenstimme und Becken, die so seltsam gemischt sind, daß es klingt, als ob irgendwo Dampf entweicht. Ain't that Peculiar, eine Cover-Version des gleichnamigen Marvin Gaye Tunes ist schwer rhythmuslastig. Mick Karn und Steve Jansen legen sich mächtig ins Zeug und drücken diesen viereinhalb Minuten eindeutig ihren Stempel auf. Kantig, funky und holprig bleibt hier vom Original rein gar nichts mehr übrig. Es folgt mit Nightporter erstens eine Hommage an Erik Satie und zweitens eine zerbrechliche, wunderschöne Piano-Ballade, die schon mal die Fühler in Richtung Sylvians Solo-Karriere ausstreckt. Abgerundet wird das Album durch Taking Islands in Africa, einer Keyboard-, Sequenzer- und Drumcomputer-Oper, welche von Ryuichi Sakamoto mitkomponiert wurde. Trotz all der Elektronik, dem Gefiepse, Gezische und Gequäke klingt der Song irgendwie lebendig, organisch, warm, was wohl zum großen Teil Sylvians Stimme zu verdanken ist. Jedesmal, wenn die CD dann nach dem achten Track endet, sitze ich für ein paar Minuten da und in meinem Kopf läuft das Stück noch ein paar Minuten weiter. Ich kann es nicht wirklich beschreiben. Gentlemen take Polaroinds ist bei weitem keine anstrengende oder brutale oder überkomplexe Scheibe, aber es ist eine der ganz wenigen Platten, die mich immer ein bißchen alle zurücklassen, wenn das letzte Stück ausgeklungen ist.

Neuer Service: Ich verlinke bei ganz besonderen Leckerbissen künftig nach Youtube, damit Interessierte sich einen Eindruck verschaffen können. Anspieltips bei diesem Meisterwerk sind eigentlich alle Songs, aber ich will nicht übertreiben, also hier vier Songs, die einen guten Überblick verschaffen: Swing, Taking Islands in Africa, Nightporter und Methods of Dance

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