Saturday, October 10, 2009

68er unmaskiert: Lautstärke/Substanz

Als gegenkulturelle Bewegeung hat alles, was grob mit den 68ern, den Hippies, den Gammlern, den BH-Verbrennern, den sich sexuell Befreienden, den Protestlern etc zusammenhängt, in seinem gesellschaftlichen und zeitlichen Kontext seine Berechtigung. Die Gründe für den 68er-Aufstand allerdings müssen nicht notwendigerweise immer schlüssig sein, ebenso, wie das Niederknüppeln (oder gar - wie in Tlatelolco/Mexiko im Oktober 1968 - das Niedermähen) der Studenten und Demonstranten nie eine wirklich souveräne Lösung darstellte. Da standen sich dann oft zwei Extreme gegenüber, die sich beide mit der Normalität beschäftigten. Die einen wollten sie durchbrechen, wenn nicht abschaffen. Die anderen wollten sie bewahren.

Und - ja - Normalität kann und muß man es schon nennen. Niemand wurde mit Waffengewalt dazu gezwungen, Familien zu gründen, von morgens um 8 bis nachmittags um 5 zur Arbeit zu gehen, einmal am Tag warm zu essen, einmal im Jahr in den Urlaub zu fahren, patriotisch, auf den eigenen Vorteil bedacht und dem Fremden gegenüber argwöhnisch zu sein. Der Mensch soll vielleicht nicht so sein, aber er ist nunmal so. Und da er so ist, hat er sich so eingerichtet. Kleinere Übel werden achselzuckend hingenommen, denn unbewußt ist den Meisten klar, daß das Bekämpfen derselben oft nur größere Übel nach sich zieht und dann letztlich das Paradies auf Erden doch wieder mal nicht erschaffen wird.

Hier taste ich mich schon wieder an den Gegensatz von Traum und Vision heran. Das, was nicht erst seit 1968 gerne als "Vertrösten zum Zweck des Ruhigstellens" bezeichnet wird, war und ist meiner Meinung nach nichts weiter als die richtige Intuition. Der Mensch richtet seinen Blick nicht auf das bessere Leben nach dem Tod, weil er sich über seine irdische Existenz hinwegtrösten muß. Denn zuerst beginnt die Existenz, dann folgt der Glaube. Ich schreie, lache, gähne, esse, trinke, rülpse und furze, bevor ich an Gott glaube. Und wenn ich dann von Gott erfahre, dann ist meine Raktion ja nicht "Ah! Deswegen ist das Leben so Scheiße!" Nein, meine Reaktion ist eher "Okay, dann will ich aber auch mal so, wie er will!" Und dazu gehört, daß ich mir hier auf Erden unter größtmöglicher Rücksichtnahme auf das Wohl der Anderen selbstverantwortlich eine gelungene Existenz aufbaue. Also nix mit Vertrösten. Anpacken und mitmachen heißt das Motto.

Dieses Motto stellte kein Problem dar, solange es dem Individuum klar war, daß es nicht einmal als Nebenbemerkung in einer Fußnote in den Geschichtsbüchern auftauchen wird. Da mußten dann schon allerärgste Umstände herrschen, bis ich mir wirklich einmal überlegte, ob ich einem spontanen, massenhaften Protestausbruch die Sorge um das tägliche Brot für meine Familie opfern will. Da mußte der Fürst schon auf meinem Rücken thronend seine Schweinelendchen an Madeira futtern und sich über die unbequeme Sitzgelegenheit beschweren, bis ich mal zaghaft am Hermelin zupfte und fragte, ob es denn noch gehe.

Heute - nach dem Siegeszug der Massenmedien, nach den 68ern und nach Jedermanns 15 Minuten Ruhm bei Bärbel Schäfer, Perez Hilton oder Youtube - sieht die Sache natürlich schon ein wenig anders aus. Wo immer ein Mikrophon, eine Kamera oder ein journalistischer Notizblock gesichtet wird, impliziert dies Öffentlichkeit und Wichtigkeit bis hin zur Deutungsgewalt oder Urteilskompetenz. Das Tragische ist, daß dieses Gefühl eben durch den Anblick der genannten Objekte vermittelt wird und keinesfalls durch das Informationsniveau oder die innere mentale Disposition desjenigen, der sie erblickt. Und so geschieht es oft, allzu oft, daß entweder wegen Nichtigkeiten laut und emotional bis hysterisch geplärrt wird oder daß sich gravierende Situationen einer vollkommen falschen Bewertung ausgesetzt sehen. Dies geschieht vorzugsweise in der Gruppe. Doch ist diese Methode eine sich selbst bestätigende. Man erinnere sich an die Demonstration von Abtreibungsbefürwortern in Wien im November vergangenen Jahres. Ein Priester stand erkennbar am Straßenrand und konnte leider nicht verprügelt werden, da die Gesetzeshüter dazwischengingen. Kommentar aus der Meute: "Die Polizisten schützen die Faschisten!" Tja, und jetzt geh mal dagegen an. Bei dem Getobe ist Argumentation nicht drin, also wird die hysterische Göre nach Hause gehen und sich in ihrer Meinung, Priester oder Lebensschützer seien Faschisten, bestätigt sehen. Und dies ist ja nur ein Beispiel. Ob es vergleichbare (und übrigens immer ruhig und friedlich verlaufende) Demonstrationen der Gegenseite sind, die mit hundert- bis tausendstimmigem Gepöbel, Kondomgewerfe, Kreuze-in-die-Spree-Geschleudere gestört werden; ob es ein Angelus-Gebet zur Unterstützung des Heiligen Vaters ist, welches dann von Laizisten, Feministen, Linksradikalen etc zu einer Manifestation des Hasses hochgepuscht wird, ob es die Feierlichkeiten zur Ehre der Heiligen Johanna von Orleans sind, die von Gegendemosntranten als Klüngelparty zwischen Politik, Militär und Kirche verschrien werden: Auf einer dicken Suppe substanzlosen aber lauten Geheuls schwimmen ein paar Fettäuglein, die das Wesentliche enthalten. Aber dies wird, da das Fett sich mit der Suppe nicht vermischt, leider unangetastet bleiben.

Natürlich fand die Methode schnell Einzug in den individuellen, privaten Diskurs. Wie oft wurde ich mit Lautstärke statt Inhalt, Larmoyanz statt Fakten, Bambiaugen statt grauen Zellen konfrontiert! Wie oft schon mußte ich gegen Begriffe wie "unsäglich" (auch, wenn grade davon gesprochen wurde), "erwiesenermaßen" (auch, wenn gar nichts erwiesen war), "demokratiefeindlich" (auch, wenn in einem von der Verfassung geschützen Prozess entstanden) oder "unstrittig" (auch, wenn grade darüber gestritten wurde) konfrontiert. Dies komischerweise von Leuten, die sich auch nicht scheuen, den guten, alten Vorwurf vom "Totschlagargument" an den Mann zu bringen.

Mir ist klar, daß man auf öffentliches, massenhaftes Geschrei nicht mit öffentlichem, massenhaften Gegengeschrei antworten kann. Meine Hoffnnung ist, daß sich im privaten Bereich etwas tun wird. Schmal, ich weiß, aber an irgendetwas muß ich mich ja festhalten.

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