Tuesday, December 15, 2009

Bücher, die glücklich machen

Auf die Idee gebracht hat mich scipio mittels eines Kehlmann-Zitates, welches P. G. Wodehouse gebührend würdigt.

Die Heilige Schrift, allen voran die Evangelien und die Psalmen, bleiben hier mal außen vor. Für die kann man ja nicht mal eine Sonderkategorie einrichten. Nicht umsonst nennt man die Bibel das Buch der Bücher (und, nee, ich will jetzt nix hören von wegen "Die Bibel heißt ja nur so, weil sie ein Buch mit vielen Büchern ist!").

Mein Glücklichmach-Buch ist ohne jeden Zweifel Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien (in anderen Übersetzungen auch Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien) von Laurence Sterne (1713-1768). Der hatte bereits mit seinem "Tristram Shandy" einen ziemlichen Hit gelandet (Goethe war Abonnent des ursprünglich in neun Teilen veröffentlichten Werkes). Die empfindsame Reise blieb leider unvollendet, da Sterne kurz nach Beendigung des Frankreich-Teils starb. Aber was ist das für ein Fragment!

Das Buch ist so geistreich, so charmant beobachtend, so leichtfüßig, so versöhnlich, so komisch und - ja - auch so empfindsam, wie kein Anderes, welches ich bisher las. Ich habe immer das Gefühl, auf Wölkchen zu gehen, wenn ich ein paar Seiten lese. Und wenn ich das Buch dann aus der Hand lege, dann geht's mir gut, beziehungsweise besser, denn gut geht's mir im Normalfall eh schon meistens. Will sagen: Dies ist kein Antidepressivum, sondern ein Buch, welches die Fenster noch ein wenig weiter aufmacht, die Vögel noch ein wenig lauter zwitschern, die Blumen noch ein wenig verlockender duften, die Sonne ein wenig heller strahlen, das Essen ein wenig köstlicher schmecken, den Mensch noch ein wenig besser erscheinen und die Kleidung mindestens drei Tage länger sauber ausschauen läßt.

Sterne (ein anglikanischer Landpfarrer) schlüpft in dem Roman in die Haut seines alter ego Yorick und ist schon hin und wieder auch mal schürzenjagend unterwegs. Aber alles spielt sich diesseits der Schamesgrenze ab.

Um Euch ein wenig zu teasen, gibt's hier mal den Anfang des Romans, der schon mit einer ganz wunderbaren Pointe endet. Die Übersetzung ist von Karl Eitner aus dem Jahre 1868, und den Rest findet Ihr, wenn Ihr denn wollt, beim Projekt Gutenberg.
    – »In Frankreich stellen sie das besser an.«

    – »Sie waren in Frankreich?« fragte der Herr, indem er sich mit der höflichsten, aber siegfrohesten Miene von der Welt gegen mich wandte.

    »Seltsam!« sagte ich, als ich die Sache bei mir überlegte, »daß einundzwanzig Meilen zu Schiffe – denn weiter ist es nicht einen Schritt von Dover bis Calais – einem Menschen solche Zuversicht geben soll! – Ich will mich doch selbst überzeugen.« – Damit gab ich die Behauptung auf, ging stracks in meine Wohnung, packte ein halb Dutzend Hemden und ein Paar schwarzseidne Beinkleider ein –»der Rock, den ich anhabe«, sagte ich, indem ich den Aermel betrachtete, »ist noch ganz erträglich« – nahm einen Platz in der Postkutsche nach Dover, und da das Packetboot um neun Uhr des Morgens abging: so saß ich um drei Uhr an der Mittagstafel bei einem fricassirten Huhn so unzweifelhaft in Frankreich, daß, wäre ich in der Nacht an einer Indigestion gestorben, die ganze Welt nicht die Vollziehung des droit d'aubaine* hätte verhindern können – Meine Hemden und schwarzseidenen Beinkleider – mein Mantelsack und Alles darin wäre dem Könige von Frankreich anheimgefallen – sogar das kleine Bild, das ich so lange mit mir herumgetragen habe, und das ich, wie ich Dir, Elisa, so oft gesagt, mit mir ins Grab nehmen wollte, würde mir vom Halse genommen worden sein. – Wie ungroßmüthig! – sich der Trümmer eines arglosen Reisenden zu bemächtigen, den Ihre Unterthanen an ihre Küsten hingelockt haben. – Beim Himmel, Sire, das ist nicht wohlgethan! Und es thut mir sehr leid, daß es der Beherrscher eines so gebildeten und höflichen und wegen seiner feinen Beurtheilung und Empfindung so berühmten Volkes ist, mit dem ich rechten muß –

    Doch ich habe ja kaum den Fuß in Ihr Gebiet gesetzt. –


    Calais

    Als ich meine Mahlzeit beendet und auf die Gesundheit des Königs von Frankreich getrunken hatte, um meiner Empfindung zu genügen, daß ich keinen Groll gegen ihn hegte, sondern im Gegentheil ihn wegen seines menschenliebenden Sinnes hoch schätzte – fühlte ich mich infolge dieser Mäßigung beim Aufstehen um einen Zoll höher.

    »Nein«, sagte ich, »die Bourbons sind durchaus kein grausames Geschlecht. Sie können, gleich andern Menschen, mißleitet werden; aber es liegt eine gewisse Sanftheit in ihrem Blute.« – Indem ich dies anerkannte, fühlte ich ein Erröthen auf meiner Wange, das von edlerer Art – wärmer und menschenfreundlicher war, als daß der Burgunder (wenigstens der nicht, die Flasche zu zwei Livres, den ich soeben getrunken) die Ursache davon hätte sein können.

    »Gerechter Gott!« rief ich aus, indem ich meinen Mantelsack mit der Fußspitze beiseite stieß, – »was liegt denn an den Gütern dieser Welt, daß sie unser Gemüth verbittern und so manchen Gutherzigen von uns Menschenbrüdern zu so grausamen Beschwerden reizen sollten, wie wohl zu Zeiten geschieht?«

    Wenn der Mensch mit den Menschen in Frieden lebt, wie viel leichter als eine Feder ist dann das schwerste der Metalle in seiner Hand! Er zieht seine Börse, hält sie leicht und unbekümmert empor und blickt umher, als wenn er sich nach jemandem umsähe, mit dem er sie theilen könnte. – Indem ich dies that, fühlte ich, wie jede Ader meines Leibes sich schwellte – die Arterien pulsirten alle freudig und harmonisch, und jede Kraft, die das Leben fördert, vollzog dies mit so geringer Reibung, daß es die physikalisch gelehrteste Zierpuppe in Frankreich in Verwirrung gebracht hätte: bei all ihrem Materialismus hätte sie mich schwerlich eine Maschine nennen können. –

    »Ich bin fest überzeugt«, sagte ich bei mir selbst, »ich würde ihre Zuversicht erschüttert haben.«

    Das Verfolgen dieses Gedankens führte im Augenblick meine Natur auf eine solche Höhe, als sie irgend erreichen konnte. Mit der Welt war ich schon vorher in Frieden – und dies brachte die Unterhandlung mit mir selbst zum Schluß. –

    »Wäre ich jetzt König von Frankreich«, rief ich aus – »welch ein Augenblick für eine Waise, die mich um ihres Vaters Mantelsack anspräche!«
Ist doch toll, oder?


[* in Kraft dieses »Heimfallrechtes« wird auf alle Effecten der Reisenden (die von Schweizern und Schotten ausgenommen), welche in Frankreich sterben, Beschlag gelegt, und wenn der Erbe selbst zur Stelle wäre; und Herausgabe findet um so weniger statt, da diese zufälligen Einkünfte verpachtet sind]

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